Samstag, 15. Juni 2013

warum wir alles erklärt haben wollen

...oder warum ich immer alles erklären muss.


Die Wahrheit über die Wahrheit, Erklären erklären. Ich glaube das wird ein Meta-Blog. 

Die Frage hängt sehr eng mit der Frage nach dem "Sinn" zusammen. Immer fragen die Leute: was hat das denn für einen Sinn? 

Ich kann mich noch an meine Kindheit erinnern, als ich begeistert die Mondflüge verfolgte und mich meine uralte Großtante fragte (sie war noch im 19. Jahrhundert geboren und hatte als Kindermädchen am Meer gearbeitet, als Österreich noch ein Meer hatte), was denn die Raumfahrt für einen Sinn hätte. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Ich konnte zwar genau jede Phase der An- und  Abkopplungsmanöver während des Fluges aufzeichnen - aber diese Frage hatte ich mir noch nicht gestellt. Ich erfand kurzerhand eine Antwort: Ich sagte, irgendwann müssten wir Menschen ja wohl den Planeten verlassen, wenn er unbewohnbar sein würde und dazu braucht man die Raumfahrt. Meine Tante blieb der Raumfahrt gegenüber skeptisch.

In unserer Gegend fragte man auch gern "...und für wos is des guat?" Ungeziefer zum Beispiel. Oder Krankheiten überhaupt. Oder ein Studium.

Nie fragte irgendwer: welchen Sinn hat es, nach dem Sinn zu fragen? Instinktiv wittert man hinter einer solchen Frage ja den infiniten Regress. Auch wenn man nicht weiß, was das ist.

Die Leute wollen die Dinge erklärt haben, damit sie wissen, was sie für einen Sinn haben. "...nein diese Käfer sind sogar sehr nützlich, denn sie fressen die Blattläuse und..." "Und die Blattläuse? Wofür sind die gut?" "Na als Nahrung für diese Käfer!"

Also hier kommt die Erklärung:

Tiere. Also ganz früher, als unsere Vorfahren noch Tiere waren. Das Leben besitzt eine wunderbare Fähigkeit: es kann mit völlig neuen Situationen umgehen. Da passieren Dinge, die hat man noch nie erlebt, nicht einmal die Vorfahren haben einen Lösungsvorschlag im Genom hinterlassen. Was macht man? Beobachten und Hypothesen aufstellen: Als ich letztens so eine Frucht gegessen habe, hab ich später Bauchweh bekommen. Hypothese: von diesen Früchten bekommt man Bauchweh.

Später, als die Tiere immer mehr zum Menschen wurden, half uns diese Fähigkeit, unsere Schwächen auszugleichen: wir hatten weder kräftige Zähne, noch konnten wir besonders schnell laufen, selbst beim Klettern übertrafen uns die Verwandten mit den vielen Haaren und den Greifzehen. Was wir aber besser als alle anderen konnten war: Ursache und Wirkung erkennen und das ganze ausnutzen.

Wenn der Wald brannte liefen alle in Panik davon. Auch die Hyänen und Löwen. Was, wenn man eines kleinen Stückes brennenden Waldes habhaft werden könnte? Um Löwen und Hyänen vom Lager fern zu halten? Und schwupps da liegt das schöne Stück Fleisch, das man gerade essen wollte, auch schon im Feuer - doch der Magen knurrt, ob man es noch essen kann? Mmm, das ist auf einmal gar nicht mehr so zäh! Und schmeckt...

Nach und nach erklärten wir uns die Welt um uns: wozu das Feuer gut ist, was man aus Holz machen konnte, wie man Obsidian bearbeiten musste um rasierklingenscharfe Werkzeuge herzustellen und wie man damit die lästigen Typen aus dem Nachbartal los wird.

Man beobachtete, wie Samenkörner plötzlich als Getreide aus der Erde wuchsen, wenn man nicht vergaß, Wasser drauf zu gießen und man kam auf den Trichter, wie man Ziege und Rind zu Mittag essen konnte, ohne dass man ihnen vorher auf langen Jagdausflügen nachstellen musste: man sperrte sie einfach in der Nähe des Wohnhauses ein und sah zu, dass sie sich auch vermehrten, bevor man allzu großen Appetit auf sie hatte.

All dieses Beobachten und Hypothesen aufstellen und Schlussfolgern, das unser Leben zu dem machte, was es heute ist, hat so gut funktioniert, dass wir es einfach auf alles anwenden. Kollateralschäden dieser Erfolgsstory aus Ursache und Wirkung sind Aberglaube, Religionen und die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Wenn ich über meine verstorbene Schwiegermutter lästere und im Jahr darauf verhungern alle Ziegen - na da muss doch ein Zusammenhang bestehen, also Ahnenkult. Und nihil nisi bene. Wenn mir meine Frisörin erzählt, es gäbe Erdstrahlen, von denen man Schlaflosigkeit bekommt und ich kann auch nicht schlafen - na bitte, ich hab Erdstrahlen (aber dagegen hilft ja ein Rosenquarz)

Die tiefe Befriedigung, wenn man eine Erklärung bekommt, die man akzeptieren kann, oder das erhebende aha-Erlebnis, wenn man endlich einen Zusammenhang durchschaut, sind nichts anderes als tief in unserem Genom verankerte Triebfedern, die diese Suche nach Lösungen neu aufgetauchter Probleme aufrecht erhalten.

Und sie haben nichts damit zu tun, ob es den Zusammenhang wirklich gibt. Wichtig ist, dass er statistisch signifikant - also sagen wir in mehr als der Hälfte der Fälle - richtig erkannt wird.

Und darum wollen wir immer wissen, warum.




Donnerstag, 13. Juni 2013

also die Sache ist die...

Wenn dir jemand einen Sachverhalt erklärt und sagt: das ist die Wahrheit! - dann traue der Sache nicht, denn dann ist was faul. Das ist die Wahrheit, glaub mir!
 
...und weil es mir ein Bedürfnis ist, und weil das Internet ja eine große Bedürfnisanstalt ist, möchte ich noch was sagen, bevor ich dir die Welt erkläre.

Wenn dir jemand die Welt erklärt, sei es der Papst, Angela Merkel, der Dalai Lama oder EMIL, vergiss nie: ER oder SIE spricht. nicht eine vom Menschlichen unbefleckte Wahrheit. Nur ein Mensch redet. In den allermeisten Fällen weiß der genauso wenig worum es geht wie du.
Soll man jetzt gar nichts glauben oder alles?
Stopp. Soweit sind wir noch nicht, ich muss vorher noch was anderes los werden:
Die schlechte Nachricht zuerst: niemand hat eine Chance, irgendetwas in dieser Welt da draußen zu »erkennen«. Da hilft auch keine Erleuchtung. Ich werde das später noch einmal genauer erklären, wenn’s wen interessiert, jetzt nur so viel: wir sehen nicht »in die Welt hinaus«. Alles worüber wir uns Gedanken machen können, ist das was in unserem Kopf ist. Ob das was mit »der Welt« da draußen zu tun hat, ist Gegenstand der Philosophie der letzten Jahrtausende. Unser Hirn konstruiert aus Nervenimpulsen (die völlig identisch sind – ob sie von den Augen kommen oder aus dem Magen - Nerven transportieren keine Reize sondern nur elektrische Impulse) eine Welt. Diese Welt ist es, über die wir reden.
Nun die gute Nachricht:Diese Welt scheint bei uns allen bis zu einem gewissen Grad sehr ähnlich zu sein. Die Unterschiede sind Themen in künftigen Artikeln, und Ursache für alle Konflikte, die wir unnötigerweise glauben, austragen zu müssen.
Worum geht es eigentlich bei der Welt? Oder bei der Wahrheit? Eigentlich ist das für die meisten dasselbe. Aber das ist natürlich Blödsinn. Die Welt hat genau so viel mit Wahrheit zu tun wie, sagen wir, Wasser mit der 12-Meilen-Zone, oder eine gewählte Regierung mit demokratischem Umgang mit den Menschen.
Die Welt, hat Herr W. gesagt, ist alles, was der Fall ist. Das klingt gut. Hilft uns aber nicht weiter. »Schaun Sie, schaun Sie, das ist alles sehr kompliziert«, lautet ein anderes Zitat (eines ehemaligen und glücklosen Bundeskanzlers). Das trifft es schon eher.
Kompliziert ist etwas, das man nicht behirnt. Und genau das ist der Grund, warum wir Menschen so ein Problem haben: Mein ehemaliger Lehrer Rupert Riedl selig hat es so formuliert: der Mensch besitzt immer noch die Anschauungsformen des Großaffen am Rande der Afrikanischen Steppe. Und mit diesen will er die komplexen Zusammenhänge in der heutigen Welt begreifen – unsere zivilisatorischen Fähigkeiten sind der Genetik sozusagen davongaloppiert (siehe dazu auch: Evolutionäre Erkenntnistheorie).
Und damit sind wir schon bei einer der wichtigsten Aussagen, die ich in diesem Blog tätigen werde: Niemand muss im Besitz der Wahrheit sein, wenn er über sie reden will (im Normalfall sind das nur Insassen gewisser Anstalten, sowie katholische Bischöfe und Politiker in Wahlkampfzeiten), es genügt, auf einer soliden Grundlage aufzubauen. Die heißt in meinem Fall: Evolutionstheorie.
Oje, sagen viele jetzt. Nein im Ernst, sage ich. Es geht nicht um den Beweis von irgendetwas, es geht darum, dass man, wenn man eine gefestigte Meinung haben will, diese nicht im schwerelosen und luftleeren Raum findet. Man braucht einen Boden. Und da ich kein irrationaler Mensch bin und mich Geschichten von schwebenden Geistern und allmächtigen Bartträgern höchstens aus Lust am Literarischen faszinieren, habe ich mich vor vielen Jahrzehnten entschieden, dieses Werkzeug zu benutzen – und es hat mich noch nie enttäuscht.
Wir können gerne darüber diskutieren – also, falls du nicht der Meinung bist, du seist im Besitz der Wahrheit, mit solchen Menschen (siehe oben) kann man leider nicht diskutieren (weil das nicht der Definition von Diskussion entspricht, deswegen nämlich, nicht weil es nicht interessant wäre, zu erfahren, wie die Wahrheit sei.)